Kultur versaut einem den Kilometer-Schnitt. So oder so ähnlich würde ich das nennen was mir heute passiert ist. Ich habe mir vor meiner Abfahrt in Peenemünde das Technische Museum angesehen. Die Ausstellung befasst sich mit der Raketenforschung im Dritten Reich und deren Auswirkungen. Neben den technischen Entwicklungen die letzten Endes den Grundstein für die Raumfahrt legen sollten werden auch die Menschen beleuchtet die in diesem Projekt beteiligt waren. Welcher Antrieb die Planer der Raketen buchstäblich über Leichen gehen ließ und wie sie weitgehend unbehelligt nach dem Krieg Karriere machten. Wo sich die Technik der V2-Rakete bei den Siegermächten wieder fand, welches Schicksal den Zwangsarbeitern blühte und was es für Auswirkungen auf die Bewohner der Insel hatte. Nicht zuletzt wirken die enormen Umweltverschmutzungen die das Projekt mit sich brachte noch heute nach. Übrigens wurden die Lohnarbeiter in Peenemünde gemessen an der damaligen Kaufkraft auf dem Niveau von geringfügig Beschäftigten entlohnt - soviel zu der Aussage 'allen hatten Arbeit'. Sicher sind Aussagen zur aktuellen Beschäftigungssituation nur zufällig ähnlich. Ich finde das Konzept der Ausstellung gut weil sie sich eben nicht nur mit faszinierender Technik befasst sondern auch mit der Schizophrenie die hinter der Entwicklung der Raumfahrt steckt. Ein Radweg der in Karlshagen endet führt an verschiedenen Einrichtungen und Bauten vorbei die zu der Heeresversuchsanstalt gehörten und inzwischen freigelegt und mit Erklärungen Versehen wurden. Vieles von dem Gelände ist nach wie vor Sperrgebiet und kann wegen Kampfmittelbelastung nicht begangen werden. Mit Karlshagen lasse ich die Geschichte der deutschen Raketenforschung hinter mir und folge dem Verlauf der Küste Richtung Polen. Dieser Küstenabschnitt hat sich anscheinend deutlich auf den gehobenen Tourismus ausgerichtet. Je näher ich an Heringsdorf heran kam desto gepflegte schaute alles aus der Wäsche. Aber auch die Radwege wurden besser - so viel besser das ich mit einem Rutsch über Anklam hinaus bis nach Polen durch gefahren bin a mit einem mal sahen die Verkehrsschilder so anders aus. Ich schlug einen Bogen zurück nach Deutschland und machte mich auf die Suche nach einem Campingplatz den ich dann kurz hinter Korswandt fand. Der war wohl schon in der DDR in Betrieb und man hatte es streng vermieden die Ausstattung seitdem zu verändern. Okay, die sanitären Einrichtungen sind neu aber alles andere wirkt so wie vor der Wende - sogar die Gäste sind dem Platz seit Jahrzehnten treu. Bis auf, ja bis auf die zahlreichen Zeltchen die überall in die Lücken gekeilt sind und von zahlreichen, vergnügungssüchtigen jungen Menschen bevölkert werden. An der Küste findet dieses Wochenende ein Musikevent statt der alle hier hin gelockt hat. Im Kontrast zu den älteren Dauercampern wabert rhythmische Diskomusik über den Platz und deutlich angeheiterte Menschen unterhalten sich lauthals über alle die wichtigen Themen die sie bewegen aber außer ihnen wirklich niemand hören will. Egal - auch für mich würde ein Plätzchen für mein Zelt gesucht und ich war froh, untergekommen zu sein. Auch die halbe Stunde Warten bei den Duschen um mir das Klebrige vom Körper abzuwaschen war kein Problem. Als ich mein Zelt aufschlug erwarteten mich darin ein paar schlecht gelaunte Ohrenkrabbler die ich wohl im Peenemünde mit eingepackt hatte. Ich entließ sie in die Freiheit und sie hatten nichts Eiligeres vor als wieder ins Zelt zu kommen. Eine Nacht voller rhythmischer Musik erwartet mich - ich habe leider zu tief geschlafen...
Peenemünde
06.08.15 - Greifswald - Lubmin - Wolgast - Penemünde: 75 Kilometer
Bevor ich Greifswald verlasse, möchte ich doch noch den Dom anschauen. Auf dem Weg in die Altstadt komme ich an einem schon lange geschlossenen Kino vorbei - und die Tür ist offen. Davor ist eine kleine Baustelle die das Kino als Lager für die benötigten Materialien nutzt. Ich frage ob ich mal rein kann und sie meinen, 'die Tür ist offen...' und zucken mit den Schultern. Drinnen bietet sich mir ein Bild gepflegten Verfalls. Im Vorraum gibt es einen massiven Wasserschaden so das die Decke abgestützt werden musste. Der Saal ist in einem Anbau hinter dem Haus und die Sitztribüne aus Holz ist durch eine undichte Stelle im Dach quasi komplett verrottet. Schade das ich so für das Foto keine Zentralperspektive einnehmen kann. Die Schließung des Kinos muss über zehn Jahre her sein weil im Foyer offensive Werbung fürs Cinestar mit dem Bild von Schweinchen Babe hängt. Der Dom von Greifswald ist zur Zeit in der Renovierung. Deswegen könnte ich nur einen Teil der alten Decken- und Wandmalereien ansehen. Ich verlasse Greifswald Richtung Wolgast. Obwohl ich eine Route gewählt habe die mich laut Karte nah an der Küste führt sehe ich hauptsächlich Felder und Fichtenwald. Die Gegend hat sanfte Hügel und immer mal wieder auch Radwege - die Route ließ sich angenehm fahren. Ich kam am ehemaligen Kernkraftwerk Greifswald vorbei, einem Reaktor von Tschernobyl-Typ der inzwischen komplett abgebaut und entsorgt ist. Ich war kurz nach der Wende mal hier. Damals verlief entlang der Strasse eine dicke Fernwärme-Leitung vom Kraftwerk nach Greifswald und schon weit vor den Gebäuden war Sperrgebiet. Heute habe ich aus Nostalgiegründen ein Foto geschossen. In Wolgast haben sie einen schönen Hafen mit ein paar maritimen Museumsstücken und eine futuristisch wirkende Hebebrücke. Von Wolgast bis Penemünde war das Gelände sehr flach - das Rad lief immer schneller dem heutigen Ziel entgegen. Gleich neben dem ehemaligen Raketenversuchszentrum ist ein Campingplatz wo ich unter kam.