Das ‘Studio X’ ist für die meisten Dortmunder ein Begriff. Es war von 1972 bis 2017 ein Pornokino. An dieser Stelle der Dortmunder Nordstadt befand sich seit den frühen dreißiger Jahren ein Kino. Zuerst das ‘Deccla’ und nach dem zweiten Weltkrieg das ‘Europa’, übrigens das größte und modernste Kino Dortmunds in der Nachkriegszeit. Mit gut 800 Sitzplätzen und der größten Leinwand der Stadt hatte man die Ambition, Premieren-Kino zu sein.
In den siebziger Jahren, zur Zeit der ersten Kino-Sterbewelle kam das Kino wirtschaftlich ins Straucheln. Zusätzlich führten gesundheitliche Probleme beim Betreiber-Ehepaar zu der Entscheidung, das Unternehmen zu verkaufen. Der neue Betreiber setzte auf ein damals noch völlig neues Genre: die ‘Erwachsenenunterhaltung’ - das ‘StudioX’, Dortmunds erstes Pornokino entstand.
Das ‘Projekt Studio X’ der drei Kunstschaffenden Silvia Liebig, Achim Zepezauer und Hendrik Müller untersucht neben den geschichtlichen Aspekten vor allem die gesellschaftliche Rolle der Institution ‘Pornokino’ als sogenannten ‘dritten Ort.
1972 hatte die Sexuelle Befreiung offiziell auch Europa erfasst. Ist ein solches Kino der Beleg für diese Entwicklung oder ist es eher ein Symptom für eine Gesellschaft, die mit eben dieser sexuellen Befreiung nicht zurecht kommt?
Bis 1995 liefen im Studio-X Erotische Filme von einer Kinoprojektion auf großer Leinwand. Es wurden sowohl Filme für ein heterosexuelles als auch homosexuelles Publikum gezeigt. Der grpße Zuschauerraum war ein Rückzugsort für Pärchen aller sexuellen Ausrichtungen und auch für die Prostitution der Dortmunder Nordstadt. In den Achtziger Jahren befand sich das Kino mitten im Vergnügungsbezirk der Stadt, der sich über die Brückstraße in den Dortmunder Norden hin zog. In Unmittelbarer Nähe zum Kino liegt die ‘Linienstraße’, der Prostitutionsbezirk der Stadt.
Die Recherche zu diesem Thema ergab recht schnell das solche Kinos in der deutschen Nachkriegsgesellschaft eine bemerkenswerte Rolle spielten.
Im Archiv des Schwulen Museums Berlin fanden sich Erotikhefte der siebziger Jahre. In den dort abgedruckten Geschichten finden sich häufighäufig Referenzen auf Kinos als Ort erotischer Betätigung.
Durch schriftliche Interviews, die Hendrik Müller auf Kontaktportalen durchführte, stellte sich oft heraus das neben offensichtlichen sexuellen Interessen Argumente für einen Besuch im Pornokino aufkamen die eher gesellschaftliche Gründe hatten: Mangel an privatem Wohnraum, Überwachung und Auswertung von Personen die sich in Hotels eincheckten und Lebensentwürfe, die nicht mit den eigenen sexuellen Bedürfnissen zusammen passten.
Recherchen über die Darstellung von Sexualität und Prostitution im Kino der Nachkriegszeit bis heute ergaben einen sensationsbetonten, aber ambivalenten Umgang mit diesen Themen.
Aus Zitaten der Recherche entstand eine Textcollage die der Sprech-Chor Dortmund zur Eröffnung der Ausstellung performte. Auf Youtube gibt es einen Film davon zu sehen:
So hatten Queere Identität und Coming Out häufig auch mit Pornokinos zu tun. Und nicht zuletzt schwingt bei einem solchen Ort Neugier und Sensationslust mit - Jeder kennt solche Etablissments aber niemand scheint dort gewesen zu sein.
Mit Hilfe eines Stipendiums des Kulturbüros und der Kreativ-Förderung der Stadt Dortmund organisierten die drei Künstler eine Ausstellung, welche die verschiedenen künstlerischen Ansätze zu den oben genannten Themen um ein zentrales Objekt herum anordnete: einen Wohnzimmerschrank im Stil des ‘Gelsenkirchener Barocks’, der zu einer Art Beichtstuhl umgebaut, begehbar gemacht wurde.

















in der so entstandenen Kabine konnten auf zwei Monitoren Medienarbeiten von Achim Zepezauer und Silvia Liebig, sowie die Performance des Sprech-Chor Dortmund zur Eröffnung und Filmausschnitte angeschaut werden. Der Schrank wurde mit Leuchtreklamen aus dem Kino dekoriert bzw. beleuchtet. So entstand mit einem Möbel, das für Bürgerlichkeit steht, ein Sehnsuchts- und Rückzugsort.
Das Objekt ist auch der ‘sprichwörtliche’ Schrank, aus dem Menschen herauskommen wenn sie ein ‘Coming Out’ haben, aber auch der Schrank in den sich Menschen verkriechen um ihren geheimen Bedürfnissen zu frönen. Auf der Vorderseite wirkt das Möbel pompös - von hinten betrachtet entpuppt es sich als zusammen gestoppelte Bretterbude - ein Synonym für die Durchschaubarkeit von Dingen die sich, scheinbar sicher vor den Blicken der Öffentlichkeit, im Verborgenen ereignen.
Um das zentrale Objekt herum sind weitere Arbeiten von Silvia Liebig, Achim Zepezauer und Hendrik Müller angeordnet, die sich mit der Geschichte des Kinos und moralischen Vorstellungen befassen.
Die Ausstellung wurde vom 14.12.’24 bis 10.01.’25 im Ausstellungsraum ‘HansA’ gezeigt und fand innerhalb dieser Zeit regen Anklang.
Die Exponate der Ausstellung sind danach teils im Stadtarchiv, teils privat für eine mögliche, spätere Ausstellung an einem anderen Ort eingelagert worden.