Achsbruch

Über den Sinn von Hinterrädern

Deutlich übernächtigt bin ich um sieben Uhr Morgens aus der Lobby des
Hotels herausgestolpert um mir ein Frühstück zu schießen. Meine Wahl,
weil schon offen und nicht nur süßes Zeug, fiel auf einen Laden der
damit warb das alle Produkte vor Ort frisch und ohne
Konservierungsstoffe zubereitet werden. Ich hatte die Gelegenheit
dieses Konzept näher zu beobachten weil ich noch etwas Zeit bis zu den
Ladenöffnungszeiten zu überbrücken hatte. Männer in Strumpfmasken (sie hatten tatsächlich statt eines
Mundschutzes etwas vor dem Mund das stark an Muttis alte Strumpfhosen
erinnert) kamen regelmäßig mit Tabletts durch eine Tür und räumten
Dinge in die Verkaufsregale die von der Menge her tatsächlich frisch
zubereitet sein konnten. Allerdings hatten diese Dinge dann wieder
große Ähnlichkeit mit genau den Artikeln die man woanders fabrikmäßig
abgepackt genau so bekommt. Wahrscheinlich lassen sich die Sachen
nicht offen verkaufen bzw. werden von den Kunden, die eine bestimmte
Erscheinung der Produkte gewohnt sind, sonst nicht angenommen. Fruchtsalate und Salate wurden vom Personal aus bis dahin
verschlossenen Pappkartons in ihren verschweissten Klarsichtschalen
frisch ins Regal geräumt - die Klamotten sind bombensicher nicht
frisch vor Ort zubereitet worden - also zumindest nicht an diesem Ort... Ich hatte mit inzwischen aus dem Netz ein paar Fahrradhändler
herausgesucht und mir vor genommen sie nach Öffnungszeit sortiert
aufzusuchen. Der erste winkte gleich ab - er könne vor dem fünften
Juli keine Reparaturaufträge annehmen. Zum Glück wollte ich von ihm ja
nur eine Einschätzung ob es in Schottland für meine Schaltnabe
überhaupt Ersatzteile geben würde. Das darauf folgende Gespräch hatte
einen etwas bizarren Verlauf. Er ging felsenfest davon aus das ich auf
jeden Fall mit meiner Schaltnabe weiter fahren bzw. sie repariert
haben wolle - es gelang mir erst am Ende ihn nach mehreren Anläufen
auf den Dreh zu bringen das ich eine schnelle Lösung brauchte um so
bald wie möglich weiterzufahren. Süß war in dem Zusammenhang seine
Idee, ich solle mir doch das benötigte Teil im Internet bestellen und
bis zum folgenden Tag an meine Adresse schicken lassen - wie jetzt? In
Aberdeen? Ich hatte ja noch nicht mal ein Bett, geschweige denn, eine
Adresse... Ich hatte schon geahnt das das gute alte Stück von Sachs in Schottland
unbekannt sein dürfte. Außerdem hatte sich dieser Händler auf
Rennräder mit 28 Zoll Laufrädern und größer spezialisiert. Er schickte
mich zu einem Laden der mit Sicherheit Räder in den von mir benötigten
Maßen herumhängen hatte - - war zwar ein bisschen weiter draußen, aber
sie hatten tatsächlich das von mir Gesuchte da - ein Laufrad für die
Aufnahme eines Zahnkranzes mit sieben Ritzeln. und sie hatten sogar
noch ein Ritzel mit einer größeren Spreizung als das meine im
Geschäft. So verließ ich kurze Zeit später den Laden mit einem fertig
montierten Hinterrad mit meinem Reifen aufgezogen. Das kapute Teil
habe ich dort zurück gelassen - sicher ein Frevel, aber es kam mir zu
schwer bzw. zu kostspielig vor es wahlweise mit mir weiter auf der
Reise mit zu nehmen oder es mit der Post nach Hause zu schicken. Mit dem Bus wieder in die Stadt, das Gepäck beim Bahnhof
eingeschlossen und nur noch mit dem Rad am langen Arm zu Starbucks.
Dort hatte ich dann auch wieder Zugang zu Christophs Nachrichten, der
mit der Hilfe von Bruder Bimbo versucht hatte eine Unterbringung für
mich zu eruieren. Leider war die potentielle Kontaktperson in Aberdeen
aus der Stadt verzogen. Ich versuchte es noch mal bei den Hostels und
hatte diesmal Glück - in einem der Hostels gab es noch einen Platz in
einem lauschigen Schlafsaal - ich reservierte ihn für den Abend und
machte mich mit meinem Rad auf den Weg nach Belhalvie - das nötige
Werkzeug hatte ich ja dort zurück gelassen. Der Bus fuhr nur bis
Potterton - ab da machte ich mich zu Fuß auf den Weg. Okay, es hätte
auch einen Buch nach Belhalvie gegeben, aber auf den hätte ich nicht
nur 45 Minuten sondern eineinhalb Stunden warten müssen. Das kurze
Stück könnte ich ja auch laufen... Wie schon in der Nacht zuvor hatte auch das neue Hinterrad eine
gesprächsfördernde Wirkung. Die Frage ist zu Anfang immer dieselbe: wo
ist denn der Rest? So geriet ich an der Bushaltestelle mit einem alten
Mann in eine Konversation über die Probleme Aberdeens mit der
Arbeitslosigkeit und dem Sinn oder Unsinn des Refrendums über die
Unabhängigkeit Schottlands. Es sollte sich zeigen das ich mich in der Gegend dann dann doch
weniger gut auskannte als es nötig gewesen währe um mein Ziel zu
finden. gut, das ich unterwegs eine Frau traf die mir entlang der
Straße entgegenkam. Als ich von ihr wissen wollte wie weit es denn
nach Belhalvie sei gab sie mir erst mal als Antwort das ich in der
falschen Richtung laufe... Sie hatte ganz in der Nähe ihr Auto geparkt und hat mich dann zu
meinem Ziel gefahren. Meine 'Retter' waren nicht zuhause, aber an das
Fahrrad kam ich ja so ran und jemand war so schau gewesen in der Tür
des Schuppens die Schlüssel stecken zu lassen. So konnte ich eine halbe Stunde wenn auch ein bisschen übernächtigt,
aber doch bester Laune, nach Aberdeen zurück fahren. Meine Vorfreude
auf baldige Bettruhe sollte aber nicht lange anhalten - keine zwei
Meilen nach der Abfahrt hatte ich schon den ersten Platten - nach der
Form des Lochs zu urteilen war der Schlauch wohl zwischen Mantel und
Felge eingeklemmt gewesen. Das kann ja jedem mal passieren - ich
setzte einen Flicken auf und setzte meine Fahrt fort um nicht ganz
eine Meile später wieder einen Platten zu haben. Dieses mal waren es
gleich mehrere Löcher wie auf einer Perlenschnur auf dem Schlauch
aufgereiht - was war geschehen? Nun, im Fahrradladen hatte der
Mitarbeiter vergessen ein Felgenband auf die Felge zu machen: die
Löcher waren genau an den Stellen wo in der Felge die Löcher für die
Speichen sind. dieses mal waren es gleich vier Löcher, die ich
fluchend flickte - und bei der Gelegenheit mehrere Lagen Isolierband
auf die Felge aufbrachte. Leider hat es auch das nicht gebracht - nur 300 Meter später der
nächste Platten - einer meiner Flicken wollte nicht richtig halten -
mir geht so langsam das Material aus... Letzten Endes hat mich der Weg nach Aberdeen hinein drei Stunden
gekostet - hinaus hat es übrigens nur eine Stunde gedauert. Bei einem
Fahrradladen am Wegesrand habe ich kurz vor Ladenschluss noch einen
Ersatzschlauch gekauft, den ich auch gleich einziehen konnte da genau
in dem Moment als ich den Laden verließ, der Schlauch ein viertes mal
nach gab. Ich war froh als ich meine Klamotten am Bahnhof ausgelöst hatte und
endlich beim Hostel ankam. Einchecken, Duschen und ins Bett - und
quasi sofort Einpennen. Das war der Plan - und der wurde gnadenlos
umgesetzt.