Lungensanatorium

Donnerstag, 13.07.2017: Elend - Sorge

Die Nacht war wild und feucht - zum Glück alles außerhalb des Zelts. Der Wind war so heftig das sich das Zelt ein paar mal auf mich runter gedrückt hat. Morgens war das Unwetter vorbei und die Sonne machte Astalten durch die Wolken zu kommen.
Ich packte meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg nach Schierke. Der Campinglatz liegt an einem früheren Grenzübergang oben auf dem Berg. Nach Elend geht es von hier aus bergab - also, die Straße entlang mit über 50 Sachen den Berg runter gebrettert - gut. das ich diesen Weg nicht hoch gefahren bin. Die mir entgegen komenden Radler sahen doch sehr verzweifelt aus - sonst ja eher meine Rolle…
In Sorge gibt es ein Grenz-Freilichtmuseum. Dort kann man einen erhaltenen Teil der Grenzbefestigung besichtigen und erlaufen. Das macht einem die Größe des zu überwindenden Abschnitts bewusst. Übrigens ist der rostfreie Streckmetall-Maschendraht der für den Grenzzaun verwendet wurde ein westdeutsches Produkt das die DDR seinerzeit mit dem Umweg über Schweden als Zwischenhändler gekauft hat. …die einen haben keine Absicht eine Mauer zu bauen und die anderen wollten nie dabei mit helfen - wir haben schon eine komische Vergangenheit.
Wer die kanpp 1,5 km Grenzzone überwinden konnte hatte jedenfalls übermenschlich viel Glück - die meisten starben dabei.

Meine nette Navigationshilfe meinte, ich solle von da ab einfach dem Weg entlang des Grenzzauns folgen - der schien mir aber so überhaupt nicht Fahrrad-geeignet, wewegen ich doch lieber der Straße durch Sorge zu meinem nächsten Ziel folgte. So kam ich am Bahnhof im Ort an dem kleinen Grenzmuseum vorbei, in dem ein sehr beredter und engagierter Mensch viel Wissenswertes über die Zeit der deutschen Teilung erzählte. Außerdem fand sich eine reizende 20%-Steigung die ich hätte vermeiden können wenn ich auf mein Garmin gehört hätte - als der ursprünglich vorgeschlagene Weg mit meiner Route zusammen lief sah er jedenfalls sehr schön und gut fahrbar aus…
Über teilweise geteerte Wirtschaftswege ging es weiter zu meinem heutigen Tagesziel - des Johanniter-Sanatorium. Als ich an dem Gelände ankam konnte ich feststellen das es eingezäunt war und man sich per Hupe oder Anruf melden solle wenn man als Fotograf rein wolle. Ich war drauf und dran wieder weg zu fahren - dann hat mich aber doch die Neugier gepackt und ich habe die Telefonnummer am Tor angerufen - und einen Anrufbeantworter voll gequatscht. Ich sagte das ich noch eine am Tor herumlungern würde und mich über einen Rückruf freue.
Egal was nun dabei raus kommt - ich verschlechtere mich ja nicht.
Ich hatte gleich in mehrfacher Hinsicht Glück. En mal meldete sich sehr schnell jemand zurück und ich durfte tatsächlich auf das Gelände. Mir wurde das Tor vom Pächter des Geländes aufgemacht, der mich aber auch quasi sofort erst mal mit der Hausordnung vertraut machte. Ich musste mich auch erst mal mit meinem Namen und Kontaktdaten in eine Liste eintragen - falls es sich im Nachhinein herausstellen sollte das ich Probleme machen würde. Dann bekam ich eine Einweisung in das Gebäude und die Regeln wenn ich drinnen herumlaufen wolle. Ich bekam alle Etagen gezeigt und die Markierungen die Räume und Bereiche kennzeichneten in die ich wegen bedenklichem Bauzustand nicht hinein gehen sollte. Außerdem bekam ich Tipps, was ich mir unbedingt ansehen sollte und von wo aus man tolle Blickwinkel auf das Haus hätte. Nach der Kurzführung durfte ich mich in und um das ehemalige Kurheim frei bewegen.
Für mich ein Erlebnis der unerwarteten Art. Sonst, wenn ich in ein Gebäude gehe, bin ich immer sehr aufmerksam auf Geräusche und Tragfähigkeit von Strukturen, nie wissend, wo sich eigentlich ‚gute‘ Szenerien zeigen werden. Und natürlich immer darauf lauschend ob jemand sich den Gebäude nähert oder im Gebäude ist.
Dieses mal konnte ich ich ganz aufs Fotografieren konzentrieren und in Ruhe das verbleibende Tageslicht ausnutzen.
Es boten sich tolle Einstellungen. Schade nur, das aus dem Haus schon alles entfernt ist was man von der Ausstattung gebrauchen konnte. Selbst das Parkett war teilweise schon geklaut worden. Es hatte in dem Haus aus mehrfach Brandstiftungen gegeben was dem Dach sehr zugesetzt hat. Es ist an vielen Stellen undicht und das Gebälk ist teilweise eingebrochen.
Das Haus hat eine Wechselvolle Geschichte. Ursprünglich als Kurklinik für Lungenkranke - hauptsächlich Tuberkolose - startete das Haus Anfang des letzten Jahrhundertsals Einrichtung für Frauen. Später kam auch noch ein Haus für Männer dazu. Die Johanniter hatten sich beim bau nicht knickrig gezeigt. Die Großzügigkeit und Solidität der Architektur spricht Bände. Der Betrieb des Kurheims war allerdings mit Errichtung der Deutschen Grenze vorbei. Das Gebäude befand sich auf Ostdeutscher Seite im Sperrgebiet und die Johanniter wurden gezwungen des Bau aufzugeben.
Nach einer kurzen Zeit ohne Funktion wurde das Haus dann in ein ‚Erholungsheim‘ für Parteimitglieder umgewandelt. Der Verteidigungsminister der DDR hatte im ehemaligen Männertrakt sogar eine eigene Wohnung und reiste mit dem Helikopter an. Betrieben und umgebaut wurde das Haus durch die NVA und so mancher ‚Bonze‘ fand sich hier mit einer angedichteten Erkrankung zur ‚Genesung‘ ein. Anscheinend hatte man bei denen nicht die Angst das sie über die Grenze flüchten würden…

Das in dem Haus irgendwie besondere Gäste gewesen sein mussten kann man auch an kleinen Details erkennen. Beispielsweise ist die ehemalige Kapelle des Hauses in einen Kinosaal umgebaut worden. Der Vorführraum dort war offensichtlich für 36mm Kinofilm ausgerüstet gewesen. Es gibt dort Projektionsfenster für zwei Projektoren und einen Aufbewahrungsregal in das von der Größe genau die Akte eines Kinofilms passten. eine solche Ausstattung konnte nur von geschultem Personal bedient werden.
Die mobilen Kinovorführer der DDR hatten normalerweise Filme auf 16mm Schmalfilm und einen entsprechenden Projektor. Ein Kinofilm hatte bei einem solchen Setting immer mindestens eine Pinkelpause weil die Vorführung für den Rollenwechsel unterbrochen werden musste.
Der Kinosaal hier hatte eine vollwertige Ausstattung für ein offensichtlich elitäres, aber kleines Publikum…
Nach dem Mauerfall versank das Gebäude im Dornröschenschlaf, nur unterbrochen von Metalldieben und Vandalen.
Ob der aktuelle Besitzer hier den Traum von einem Luxushotel noch verwirklichen können wird, sei mal dahin gestellt. Der Pächter bietet kontrollierten Zugang zu dem Bau, was Fotografen und Filmteams zu schätzen wissen. Mehr kann man mit der Bude vermutlich nicht mehr anstellen.
Als ich mit meinen Aufnahmen fertig war hatte es schon halb sechs. Ich fragte den Pächter nach einen Campingplatz auf meiner Route - es sollte da keinen geben. Er bot mir an, ich könne doch die Nacht auf dem Heuboden verbringen und mit ihm und seinen Gästen am Lagerfeuer zu Abend Essen.
Das war ne echte Überraschung. Ich bekam ein trockenes Plätzchen auf Stohballen und sogar eine Steckdose für die Nacht. Und einen schönen Abend mit interessanten Leuten och dazu. Es sollte fast Mitternacht sein als ich das Lagerfeuer verließ um mich Schlafen zu legen

Lagerfeuerromantik in Elend