Harz

Mittwoch, 12.07.: Braunlage - Elend - Schierke

Mir ist heute ein früher Start gelungen - um acht Uhr bin ich schon vom Platz gerollt. Heute Mittag sollte es anfangen zu regnen und stürmisch werden. Heute wollte ich mir Schierke ansehen - eine Stadt die aufgrund ihrer Bauten von einer wohlhabenden Vergangenheit erzählen, aber auch gleichzeitig von der Stagnation zeugen kann.
Im Harz liegen die Orte immer in den Tälern - so ging es von Braunlage nach Elend erst mal über eine Berg - so richtig rund wollte das noch nicht mit mir und dem Rad laufen, aber ich bin gut angekommen.

In Elend wurde ich von einer Frau angesprochen als ich angesichts der Steigung am Ortsausgang ein kleines Päuschen machte. Ich könne doch einen Radweg durch das Elendstal fahren - der würde viele der Steigungen vermeiden die mir die Straße noch zu bieten hätte. Solche Tipps bekommt man gern. Also bin ich zurück gefhren und in den Weg eingebogen (den mir übrigens auch die Navigation angeboten hatte, aber seit letztens hege ich da ja gewisses Misstrauen…)
Im Elendstal folgt der Weg einem Bach der sich seinen Weg durch ein Bett aus großen Granitsteinen bahnt - tolles Fotomotiv…

In Schierke angekommen hatte es auch angefangen zu regnen - viel zur früh! Anscheinend haben die Wolken den Wetterbericht nicht mit bekommen. Ich habe mein Rad unter dem Vordach eines zur Zeit unbewirtschafteten Hauses geparkt und den Ort zu Fuss erkundet. Die Kirche und der Friedhof erzählen nicht von einer reichen Vergangenheit. Die Kirche ist klein, dunkel und karg. Auf dem Friedhof gibt es schlichte Gräber und neben der Kirche ein Denkmal für die Gefallenen des ersten Weltkriegs aus dem Ort. Es hat einen bizarr aus dem Stil gefallenen Abschlussstein - ob das wohl schon immer so war?

Ich bin in den Ort gekommen um leer stehende Pensionen und Unterkünfte zu finden - besonders suche ich nach einem FDGB-Erholungsheim.
So richtig wills nicht klappen. Nachdem ich mir ein Hotel näher angesehen hatte, das wenig bot habe ich in der aktuell recht verlassenen wirkenden Ortschaft einen Bäcker gefunden bei dem ich einen Kaffee und ein Stück Kuchen bekam.
Auf gut Glück fragte ich die Beschäftigten nach dem Erholungsheim. Eine der Beiden konnte sich an einen Kunden erinnern der davon erzählt hatte beim Erholungsheim gewesen zu sein. es müsse irgendwo in ‚der Richtung‘ sein - sie zeigte mit dem Arm.
Ich freute mich über die Auskunft und wanderte tapfer in die angegebene Richtung. Es sollte die Straße auf den Brocken sein. Immer Ausschau nach einem alten, großen Gebäude haltend bewunderte ich die Landschaft. Es hat schon etwas Bizarres wenn ein Wald zwischen Geröll herauswächst dessen steine teilweise so groß sind wie Kleinwagen. Tolle, Moos bewachsene Formationen. Ich wanderte immer weiter den Berg hinauf, aber ein baufälliges Erholungsheim gab’s nicht.

Ich entschloss einem Wanderweg zu folgen der zurück nach Schierke führte, konnte noch mehr Granitbrocken mit Moss drauf bewundern und kam desillusioniert und bis auf die Knochen durchnässt in den Ort zurück.
Ich habe mein Erholungsheim dann doch noch gefunden - es klebte am Berg direkt oberhalb von dem Haus wo mein Rad geparkt war! Ich hätte mich nach meinem Besuch der Kirche einfach mal umdrehen sollen. dann hätte ich es direkt gesehen - es hat sogar eine Leuchtreklame mit großen Buchstaben an der Front als wolle es nach mir rufen - geleuchtet haben die Buchstaben natürlich nicht. Gut das der Tag noch recht jung und ausreichend Tageslicht für einen Besuch übrig war.
Also, für einen Beusch von dem was von dem FDGB-Erholungsheim noch übrig war. Das eigentlich verspielt-imposante Gebäude hat seit seiner Schließung wenig Glück gehabt.

Anscheinend hat es mindestens einmal in dem Gebäude ordentlich gebrannt und das Dach hat so viele Undichtigkeiten das bei dem Regenwetter quasi von allen Decken Wasser heruntertropfte - und das bereits im Erdgeschoss. Eine umfassende Erkundung des Hauses habe ich wegen fragwürdiger Tragfähigkeit der Struktur unterlassen. Außerdem hörte ich mit einem mal das noch andere Leute in dem Bau unterwegs waren. Ich hatte keine Lust, denen zu begegnen oder gar Zeuge davon zu werden das sie irgendwo in dem Bau durchbrechen, so wie sie polterten.
Ich hatte genügend Motive und große Lust mein Zelt aufzuschlagen und mich in meinen hoffentlich trockenen Schlafsack zu kuscheln. Einen Kilometer außerhalb vom Ort gibt es einen Campingplatz (natürlich oberhalb vom Ort!). Dort bin ich in strömendem Regen hin gestrampelt. habe eingecheckt, mein Zelt so schnell es ging aufgeschlagen und meine Sachen so trocken es ging da rein geworfen. Beim Aufpoppen des Zelts kommt mir aus den Falten eine missmutig gelaunte Motte entgegen geflattert - die hatte ich wohl heute Morgen mit eingepackt. Als sie in den Regen gerät dreht sie sofort um und fliegt ins Zelt zurück…
Heute ist es sehr windig - da gibt es auch mal vier Erdhaken für die Ecken. Es gibt noch ein paar Zelte mehr auf dem Platz, sie wirken aber verlassen - ich treffe die Bewohner alle im Aufenthaltsraum beim Sanitärgebäude zusammengedrängt - gemütlich ist es heute da…
Ich habe mich erst mal eine halbe Stunde unter die heiße Dusche gestellt und anschließend den Sanitärbereich mit meinen nassen Sachen zum Trocknen dekoriert - der Flur und der Aufenthaltsraum war schon von den Anderen mit ihren nassen Klamotten belegt worden. Ich habe noch ein bisschen Strom um meinen Tag zu schreiben und die Bilder zu sortieren. internet gibt’s hier nicht und Mobilnetz erst recht nicht - das mit dem ‚Online‘ kommt dann wohl eher demnächst…
Während ich in meinem Zelt liege prasselt das Wasser ununterbrochen herunter und der Wind drückt das Zelt aus unterschiedlichen Richtungen zu Boden - heute geht’s heftig zu! Eva schickt mit eine SMS in der sie mich auf das noch zu erwartende Wetter der Nacht und die ungewöhnliche Kälte aufmerksam macht - ich zieh mich mal dicker an…

Montag 10.07. - wie ich es gerade mal bis Osterode schaffte….

In der Nacht hat es geregnet - es ist schön in einem Zelt zu liegen und dem Geräusch der Wassertropfen zu lauschen. Als ich Morgens wach wurde war das Wetter trocken und mir gelang der auf dieser Reise erste, ziemlich koordinierte Aufbruch in den Tag. So schnell war das Rad noch nie mit Taschen behangen und Abreisefertig.
Nach den Erfahrungen von Gestern habe ich mir vor genommen, den Weg nach Braunlage nach Straße zu fahren.
nach kurzer Zeit traf ich auf einen künstlichen Damm der Wasser führte - der Sperberhaier Damm war vor gut 300 Jahrenunter enormen Anstrengungen angelegt worden um das Wasser zu den Gruben im Bereich Clausthal zu führen.

Sperberhaler Damm

Eigentlich hätte ich entlang dieses Damms meine Strecke fortsetzen können und so die Fahrt durch die Senke vermeiden können, der die Straße folgte. Aber machmal hat man eben ein Brett vor dem Kopf. Als ich am anderen Ende der Senke angekommen war meinten meine Beine jedenfalls das das eigentlich erst mal genug gewesen sei - also kurz Verschnaufen.
Wie aus dem Nichts war da plötzlich dieser Mensch mit dem VW-Bus der auf dem Parkplatz nah bei hielt um mich in ein Gespräch über Liegeräder zu verwickeln. er hatte in dem Wagen ein Dreirad mit Elektrounterstützung das er sich zum Testen übers Wochenende ausgeliehen hatte.
Er erzählte mir davon das man diesem Wasserlauf quasi ohne Steigungen bis kurz vor mein Tagesziel folgen könne. Er selbst sei am Wochenende Abschnitte dieses Weges gefahren und es sei toll gewesen. Mit meinem Rad sei das sicher noch einfacher als mit einem Dreirad. Schließlich bräuchte ich keine so breiten Spur. Das hat mich überzeugt. Ich machte mich also daran, diesem Weg zu folgen.
Er ist in der Tat eben, aber in dem Abschnitt den ich befuhr wimmelt es von Steinen und Baumwurzeln die es mit dem Rad zu überwinden gilt. Insbesondere die Baumwurzeln sind tückisch. Von Feuchtigkeit glitschig rutscht auf ihnen das Rad zur Seite weg ohne das man das kontrollieren könnte. Auf der einen Seite ist der Wasserlauf, auf der anderen der Abhang - schon eine spannende Sache mit einem voll beladenen Rad. Aber Landschaftlich war’s echt ne Wucht - und allemal schneller als die Trauma-Steigung von Vorgestern. Doof nur, das der Traum vom ebenen fahren ein par Kilometer später vorbei war - da hatte jemand ein paar Treppen eingebaut - da hatte ich irgendwie keine Lust mehr auf holprigen Baumwurzelweg.

Ich durchforstete die Karte nach meinen Optionen. Viele gab es nicht. So folgte ich dem am besten befahrbaren Weg ins Tal - wohl wissend das ich das alles wieder hoch fahren muss.
Auch dem Weg nach unten fing es an zu Schütten - und es wollte auch nicht mehr damit aufhören. Im schönsten Regen kam ich in Osterode an und sah dort einen Hinweis auf den Campingplatz Eulenburg - der sollte es sein!
Im Strömenden Regen das Zelt aufgebaut und die Taschen in die Ecken geworfen. irgendwie ist es mir gelungen die Isomatte und den anderen Kram so in das Zelt zu bekommen das es nicht nass wurde. Ich selbst habe mich den restlichen Nachmittag in die Restauration des Campingplatzes gesetzt, den Blog aufgeräumt und Sozialstudien bei der Campingplatzbesatzung angestellt während ein Schauer nach dem anderen runter ging. Sie haben auf dem Platz einen Freifunk-Zugang der zwar erwartungsgemäß nicht schnell ist,dafür aber zuverlässiger funzt als der Funk in Prahljust. Dort gibt einen Hotsplotz-Zugang, der so gut wie keinen Upload ermöglicht.

Sonntag, 09.07.2017: Clausthal-Zellerfeld und die Tanne

Als ich auf dem Platz ‚Oberste Innerste‘ meine Sachen zusammen packte lag der Ort noch weitgehend im Tiefschlaf. Ich habe es heute zwar nicht weit aber mir winkt das erste Foto-Ziel. Also möchte ich keine Zeit verlieren. Zur Sicherheit noch mal frisches Wasser gefasst und los gestrampelt.

Nicht weit von dem Platz kam ich an einem ‚Christlichen Zentrum‘ vorbei - hier haben sich die Evangelikalen in einem ziemlich stattlichen Gebäude eingenistet. Interessanterweise steht oben an der Landstraße nur noch der hinweis auf die ‚Flambacher Mühle‘ und nicht etwa der zu einem ‚Christlichen Zentrum‘. Von jedem gefunden werden möchte man dann doch nicht.
Nach 20 Minuten war ich in Clausthal-Zellerfeld angekommen. Gestern Abend fühlte sich das noch unendlich weit an. Das Ziel des Tages heisst ‚Sprengstoff-Fabrik Tanne‘
Man hatte diese Produktionsstätte in aller Heimlichkeit im Vorfeld des zweiten Weltkriegs im Harz angelegt. Die Gebäude der Fabrik haben Dächer die die Gebäudestruktur verschleiern und sind zudem noch bewachsen, so das man sie mit der Technik der damaligen Luftaufnahmen nicht hätte sehen können. Der Ort war nicht zufällig gewählt. Der Harz war mit den damaligen Bombern für die Alliierten nicht zu erreichen gewesen, genauer: die Flugzeuge hätten nach der Bombardierung eines Ziels im Harz nicht genug Sprit gehabt um wieder zurück zu fliegen.
Die Produktion an Sprengstoff war enorm und die Arbeitstaktung für die Zwangsarbeiter hoch. So kam es hier zu einer verheerenden Explosion die mehrere Gebäude schwer beschädigte. Mit dem Näherrücken der Front an Deutschland wurde gegen Ende des Krieges die Fabrik dann doch bombardiert.


Das Werk ‚Tanne‘ liegt an einem Industriegebiet bei Clausthal-Zellerfeld und ist umzäunt. meine Fahrradroute würde übrigens quer über das Gelände weiter zum nächsten Ziel führen - das lässt interessante Erlebnisse in den nächsten Tagen befürchten. Ich habe mir ein lauschiges Plätzchen für mein Rad gesucht und mich mit der Fototasche auf die Suche nach einem Durchschlupf gemacht. Es gab eine ausgeleiterte Stelle im Zaun durch die auch ein minder begabter Fotokünstler mit seiner Ausrüstung durch passt. Dann stapfte ich mit meinen Sachen durchs Unterholz. Es dauerte nicht lange, da stand ich schon vor den ersten Gebäuden. Sie ließen an Bruchigkeit nichts zu wünschen übrig. Ich habe über drei Stunden auf dem Gelände verbracht - quasi hinter jedem Baum stand ein neuer Betonklotz, mit Fichten bewachsen und tat so als wenn er nicht da sei.
Es gibt einen Bereich der so aussieht als wenn da mal die Explosion stattgefunden hat. Eine der Hallen ist hier teilweise eingestürzt, der Rest als Trümmer in der Umgebung verstreut. Das ganze Gelände ist von üppiger Vegetation überzogen - Haldenbegrünung oder eben Unterholz mit dicken Moos-Schichten, Die wilden Erdbeeren sehen hier besonders verführerisch aus. Man sollte sie aber nicht pflücken denn das Gelände ist hochgradig mit Giften aus der Sprengstoffproduktion belastet und hat der Gemeinde eine unerwartet großes Grundwasserbelastung hinterlassen. Wie es aussieht sind Teile der Gebäude nach dem Krieg weiter genutzt worden bzw. werden auch heute noch durch Industrie genutzt. Besonders süß war da eine der Baute, als Wohngebäude in DDR-Manier Fassadendekoriert - bombensicher Wohnen kann auch so aussehen…
Auch hier war es nur eine Illusion, das ich mich auf einer umzäunten Ansammlung von bruchigen Gebäuden allein aufhalten würde. Es machte so den Eindruck als wenn die halbe Welt unterwegs sei um Bekannten die Bauten zu zeigen oder den Hund zu lüften. Wo die sich wohl über den Zaun geschmissen haben?
Ich, jedenfalls konnte mich wieder gepflegt unter dem Zaun durch schieben und ein Wiedersehen mit meinem Reisemobil feiern. Meine Beine geben mir schon den ganzen Tag zu verstehen das sie mal ne Pause brauchen - ich steuere den Campingplatz an den ich eigentlich schon gestern Abend hätte erreichen wollen.So übernachte ich heute also bei Camping Prahljust, ganz nobel mit Wamrwasser-Hallenbad, Sauna, so viel Duschen wie ich nur essen kann, ner Steckdose neben meinem Zelt, und, und, und… die Besatzung des weitläufigen Platzes steht diametral zu der von letzter Nacht. Hier möchte niemand autark einen alternativen Lebensstil leben…