ObersteInnerste

Sonntag, 09.07.2017: Clausthal-Zellerfeld und die Tanne

Als ich auf dem Platz ‚Oberste Innerste‘ meine Sachen zusammen packte lag der Ort noch weitgehend im Tiefschlaf. Ich habe es heute zwar nicht weit aber mir winkt das erste Foto-Ziel. Also möchte ich keine Zeit verlieren. Zur Sicherheit noch mal frisches Wasser gefasst und los gestrampelt.

Nicht weit von dem Platz kam ich an einem ‚Christlichen Zentrum‘ vorbei - hier haben sich die Evangelikalen in einem ziemlich stattlichen Gebäude eingenistet. Interessanterweise steht oben an der Landstraße nur noch der hinweis auf die ‚Flambacher Mühle‘ und nicht etwa der zu einem ‚Christlichen Zentrum‘. Von jedem gefunden werden möchte man dann doch nicht.
Nach 20 Minuten war ich in Clausthal-Zellerfeld angekommen. Gestern Abend fühlte sich das noch unendlich weit an. Das Ziel des Tages heisst ‚Sprengstoff-Fabrik Tanne‘
Man hatte diese Produktionsstätte in aller Heimlichkeit im Vorfeld des zweiten Weltkriegs im Harz angelegt. Die Gebäude der Fabrik haben Dächer die die Gebäudestruktur verschleiern und sind zudem noch bewachsen, so das man sie mit der Technik der damaligen Luftaufnahmen nicht hätte sehen können. Der Ort war nicht zufällig gewählt. Der Harz war mit den damaligen Bombern für die Alliierten nicht zu erreichen gewesen, genauer: die Flugzeuge hätten nach der Bombardierung eines Ziels im Harz nicht genug Sprit gehabt um wieder zurück zu fliegen.
Die Produktion an Sprengstoff war enorm und die Arbeitstaktung für die Zwangsarbeiter hoch. So kam es hier zu einer verheerenden Explosion die mehrere Gebäude schwer beschädigte. Mit dem Näherrücken der Front an Deutschland wurde gegen Ende des Krieges die Fabrik dann doch bombardiert.


Das Werk ‚Tanne‘ liegt an einem Industriegebiet bei Clausthal-Zellerfeld und ist umzäunt. meine Fahrradroute würde übrigens quer über das Gelände weiter zum nächsten Ziel führen - das lässt interessante Erlebnisse in den nächsten Tagen befürchten. Ich habe mir ein lauschiges Plätzchen für mein Rad gesucht und mich mit der Fototasche auf die Suche nach einem Durchschlupf gemacht. Es gab eine ausgeleiterte Stelle im Zaun durch die auch ein minder begabter Fotokünstler mit seiner Ausrüstung durch passt. Dann stapfte ich mit meinen Sachen durchs Unterholz. Es dauerte nicht lange, da stand ich schon vor den ersten Gebäuden. Sie ließen an Bruchigkeit nichts zu wünschen übrig. Ich habe über drei Stunden auf dem Gelände verbracht - quasi hinter jedem Baum stand ein neuer Betonklotz, mit Fichten bewachsen und tat so als wenn er nicht da sei.
Es gibt einen Bereich der so aussieht als wenn da mal die Explosion stattgefunden hat. Eine der Hallen ist hier teilweise eingestürzt, der Rest als Trümmer in der Umgebung verstreut. Das ganze Gelände ist von üppiger Vegetation überzogen - Haldenbegrünung oder eben Unterholz mit dicken Moos-Schichten, Die wilden Erdbeeren sehen hier besonders verführerisch aus. Man sollte sie aber nicht pflücken denn das Gelände ist hochgradig mit Giften aus der Sprengstoffproduktion belastet und hat der Gemeinde eine unerwartet großes Grundwasserbelastung hinterlassen. Wie es aussieht sind Teile der Gebäude nach dem Krieg weiter genutzt worden bzw. werden auch heute noch durch Industrie genutzt. Besonders süß war da eine der Baute, als Wohngebäude in DDR-Manier Fassadendekoriert - bombensicher Wohnen kann auch so aussehen…
Auch hier war es nur eine Illusion, das ich mich auf einer umzäunten Ansammlung von bruchigen Gebäuden allein aufhalten würde. Es machte so den Eindruck als wenn die halbe Welt unterwegs sei um Bekannten die Bauten zu zeigen oder den Hund zu lüften. Wo die sich wohl über den Zaun geschmissen haben?
Ich, jedenfalls konnte mich wieder gepflegt unter dem Zaun durch schieben und ein Wiedersehen mit meinem Reisemobil feiern. Meine Beine geben mir schon den ganzen Tag zu verstehen das sie mal ne Pause brauchen - ich steuere den Campingplatz an den ich eigentlich schon gestern Abend hätte erreichen wollen.So übernachte ich heute also bei Camping Prahljust, ganz nobel mit Wamrwasser-Hallenbad, Sauna, so viel Duschen wie ich nur essen kann, ner Steckdose neben meinem Zelt, und, und, und… die Besatzung des weitläufigen Platzes steht diametral zu der von letzter Nacht. Hier möchte niemand autark einen alternativen Lebensstil leben…

Samstag, 08.07.2017: Stadtoldendorf - Wangelstedt - Einbeck - Hohnstadt - Echte - Badenhausen - Oberste Innerste

Die Nacht war unerwartet regenfrei. Da ich mit dem Mammut-Park von meinem Weg abgewichen bin und ohnehin eine neue Route notwendig gewordem war um direkt die Punkte meines Interesses anzusteuern habe ich heute Morgen vor dem Restaurant auf dem Gelände das Internet für Recherche und anderen Kram genutzt und bin danach erst los gezockelt.

…eine Steckdose gefunden

Es begann gleich mit lustigen Überraschungen - die Route zur Landstraße sollte mich über den Truppenübungsplatz zur Landstraße führen. So fand ich mich erst mal auf ausgeschlagenen Wegen voller Schlammlöcher und gigantischer Pfützen zwischen diversen Geländewagen wieder. Ich hab’s versucht, sportlich zu nehmen und kämpfte mich mit meinem, so gar nicht für Gelände geeigneten Gefährt um die unüberwindbaren Stellen herum in Richtung normaler Wege. Als ich das endlich geschafft hatte gab es nur noch eine Schranke zu überwinden, dann sah der Weg wieder aus wie man sich Wege im Allgemeinen so vorstellt.

Teils über Wirtschaftswege, teils über Landsttraße ging es durch die hügelige Landschaft weiter. Die lang gestreckten Steigungen ließen sich gut überwinden und danach kam ja auch immer eine Gefällestrecke auf der ich Geschwindigkeits-mäßig eine Menge raus holen konnte.
In Einbeck traf ich auf ein offenes Intersport-Geschäft - ich nutzte die Gelegenheit um nach Fahrradhandschuhen zu fragen. Der Besitzer des Ladens musste mich leider enttäuschen - so etwas würde er nicht führen, denn es gäbe ja ein Fahrrad-Geschäft in der Stadt. Er beschrieb mir den Weg und ich machte mich in die Richtung auf die Socken aus der ich gerade gekommen war. Als ich am Ziel ankam konnte ich feststellen das der Laden vor einer halben Stunde zu gemacht hatte. Also, doch keine neuen Handschuhe für Hendrik :-/
Im Supermarkt noch ein paar Lebensmittel-Vorräte ergänzt und weiter ging es. Das rauf und runter vom Vormittag hatte sich inzwischen in ein überwiegendes rauf verwandelt.

Tendentiell immer ne Steigung - aber geile Landschaft

In Badenhausen machte ich daher in einer schattigen Bushaltestelle Rast. Die Hütte dient der Dorfjugend als stiller Briefkasten - oder vielleicht doch eher als offener Briefkasten, denn das Geschreibsel ist natürlich für jeden zu lesen der sich da aufhält.

Von da aus führte mich meine Route über einen Wirtschaftsweg in den Wald auf einen Berg hoch - und zwar nur hoch über etwa sechs Kilometer bis auf eine Höhe von 540 Metern. Um eine solche Steigung elegant durch zu Radeln fehlte mir irgendwie die Kondition. Meine gefahrenen Strecken verkürzten sich zusehends bis auf Etappen von etwa 100 Metern. Dann musste ich Verschnaufpausen einlegen. Im Gebüsch neben dem Weg warteten die Pferdebremsen auf mich um bei jeder Pause ihr unverhohlenes Interesse an meiner Person zu bekunden. Ich konnte gar nicht so viele Erschlagen wie sich überall auf meinem Körper ansammelten. Das machte die Pausen meist kürzer als ich gut gefunden hätte.

Die Steigung zog sich gefühlt endlos weiter und nach jeder Wegkurve ging es immer noch weiter hoch. Drei Stunden nach Badenhausen erreichte ich in der Dämmerung endlich den höchsten Punkt. Auf ein paar Hinweisschildern war er als die Kaysereiche angekündigt worden. Ich befand mich in dichtem Fichtenwald und konnte mir eine Eiche irgendwie nicht an diesem Ort vorstellen. Die Stelle war ein regelrechter Rastpunkt mit Bank und Tisch - die Gelegenheit, eine Pause zu machen. Jemand hatte begonnen ein Tipi zu errichten - es war leider noch nicht fertig, sonst hätte ich da sofort mein Nachtlager bezogen. Die besagte Eiche musste ich ein bisschen suchen - sie steht ein wenig verlassen zwischen den Fichten eingeklemmt. Eine Informationstafel teilte mir mit das sie zu Ehren eines Herrn Kayser gepflanzt wurde der sich sehr für die Entwicklung der Wanderwege in der Gegend verdient gemacht hatte. Der Baum sei übrigens erst im dritten Anlauf überhaupt angegangen da Eichen in solchen Höhen in der Regel nicht wachsen -Ach!

Endlich kam das lang ersehnte Gefälle. Die ersten Rehe hopsten in der Dämmerung vor mir über den Weg. Ob ich mein heutiges Ziel noch erreichen könnte - ich fühlte mich viel zu fertig um noch weiter zu fahren. Ein Paar mit Hund machte mich darauf aufmerksam das gar nicht weit ein Campingplatz sei. Da solle ich es mal versuchen. Das macht doch Hoffnung!
Der besagte Campingplatz entpuppte sich eher als wilde Dauercamper-Anlage mit alten Wohnwagen und allerhand selbst gezimmerte Bauten. Es erinnerte mich doch sehr an das Camp des Hambacher Forst. Es gab dort ein altes Zechengebäude das jetzt noch von den Naturfreunden genutzt wird. Zwei alternativ aussehende Leuten bewirtschaften das Ding - sie haben einen Garten angelegt in dem sie gerade Gemüse ernteten. Von ihnen erhielt ich die Erlaubnis, für eine Nacht mein Zeit aufzuschlagen und konnte Wasser tanken.
Hier oben, so erzählten sie mir, würden sie und die anderen Leute auf dem Platz ein autarkes Leben versuchen. Wenn ich wollte, gäbe es im Aufenthaltsraum des Hauses auch Internet und Zugang zu einer Toilette. Eine Dusche hättte es aber nicht. Da müsste ich mein Glück schon in einem der zahlreichen Stauseen versuchen.
Ich suchte mir ein Plätzchen für mein Zelt und machte mir nur noch schnell was zu Essen bevor ich Pennen ging.

Der 'Juwel' verbrennt mein Abendessen...

Auf dem Platz herrscht eine wirklich entspannte Stimmung in paradiesisch-entspannter Atmosphäre.Ganz anders auf meinen zerbissenen Beinen, übersäht von zahlreichen schwellungen der Bremsenbisse und den Abdrücken ihrer erstaunten Gesichter. Mein Navi wies den Ort als ‚Oberste Innerste‘ aus - was es auch immer damit meinte…